What connects us?
Aus der Erziehungskunst: Juni 2015
What connects us? Waldorfschüler aus aller Welt begegnen sich am Goetheanum
Vom 12. bis zum 16. April hat sich am Goetheanum eine Internationale Schülertagung die Frage gestellt: »Was verbindet uns?«
Die Idee zu dieser Tagung entstand, passend zum Titel, aus einer gemeinsamen Initiative der Jugendsektion des Goetheanums, der WaldorfSV und des Bundes der [F]reien Waldorfschulen.
Wer ist mit wem verbunden? Sind wir nicht alle irgendwie miteinander verbunden? Fühlen wir uns überhaupt verbunden, wenn wir mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen? Was ist überhaupt eine Verbindung?
Mit diesen Fragen wurden Waldorfschüler auf der ganzen Welt zur internationalen Tagung eingeladen, um gemeinsam nach Antworten zu suchen. 420 neugierige Schüler aus den verschiedensten Ecken der Welt kamen zusammen. In den fünf Tagen konnten sie erleben, was es bedeutet, sich zu verbinden und was Verbundenheit ausmacht. Sie waren dazu aufgerufen, ein lebendiges Bild für die Zukunft zu erschaffen und fremde Menschen Teil ihrer Inspiration sein zu lassen.
Das Tagungsprogramm bot den Teilnehmern eine gute Abwechslung zwischen Nachdenken und Aktivität. In den insgesamt fünf Vorträgen wurde auf die verschiedensten Aspekte des Themas geschaut. In Gesprächsgruppen wurde anschließend über das zuvor Gehörte und Erlebte gesprochen.
Die Stimmung war außergewöhnlich! Nicht nur während der Vorträge, der Gesprächsgruppen oder der Workshops, sondern auch in den kleinen Pausen, im Nachtcafé, das – mit einer kleinen Ausnahme – jeden Abend geöffnet hatte. Die Schüler verbrachten ihre gemeinsame freie Zeit in der prallen Sonne auf den Wiesen um das Goetheanum. Immerzu wurde gemeinsam gesungen, Gitarre gespielt und es wurden Gemeinsamkeiten gefunden.
Die besondere Atmosphäre, die während der gesamten Tagung herrschte, erreichte im Nachtcafé des dritten Abends ihren Höhepunkt. Zuerst führten einzelne mutige Schüler im Rahmen einer offenen Bühne ihre Talente vor, nach einiger Zeit wurde getrommelt und die Schüler zogen vor das Goetheanum, wo so lange Volkstänze getanzt und eine Feuershow aufgeführt wurde, bis die ersten Anwohner auf ihrer Nachtruhe bestanden. Aber auch das tat der ausgelassenen Stimmung keinen Abbruch. Bis spät in die Nacht feierten und tanzten wir im Foyer des Goetheanums. So fühlt sich Verbundenheit an. Zwei Gitarristen – einer aus Brasilien, einer aus Deutschland – spielten die gesamte Zeit über Lieder, die alle mitsingen konnten. Die Schüler lagen sich in den Armen und niemand von uns wollte, dass der Abend ein Ende nehme.
Ab diesem Zeitpunkt gab es keine einzelnen Gruppen mehr, sondern wir waren einfach Schüler, die gemeinsam eine wunderbare und einzigartige Zeit verbrachten. Es wurde mehr und mehr sichtbar, dass wir zwar alle die verschiedensten Hintergründe und Kulturen haben, aber dass das niemals einer Verbindung im Wege stehen kann, wenn man offen und freudig auf einander zugeht.
Glücksforscher aus Buthan
Den ersten Abend eröffnete Constanza Kaliks, die Leiterin der Jugendsektion. Unter dem Titel »Mit was möchte ich mich verbinden?« sprach sie von der Fähigkeit der Jugend, eine neue Welt zu erschaffen. Sie sprach von Verbindung, Zukunft und Veränderung. Nur das Potenzial zur Veränderung mache uns zum Menschen. Im Anschluss an den Vortrag führte die Bochumer Theatergruppe »Theater Total« das Stück »Böse Geister« von Fjodor Dostojewski auf.
Am Morgen des zweiten Tages wurde uns vor Augen geführt, wie sinnvoll man die moderne und technische Art einer Verbindung nutzen kann. In Form eines Skypevortrags von Ha Vinh Tho. Der trotz der weiten Entfernung sehr präsente Glücksforscher aus Bhutan sprach über die Wichtigkeit von Verbindungen aller Art. Er machte uns klar, wie wichtig es für uns Schüler ist, in Verbindung miteinander, mit der Natur und mit uns selbst zu sein. Aus guten Beziehungen zueinander könne alles entstehen! Ha Vinh Tho sagte, eine Veränderung der Welt sei nur dann möglich, wenn wir uns verbinden und dafür müssen wir unser Bewusstsein ändern. Er konnte genau erklären, wie wir durch unsere Vergangenheit und Zukunft verbunden sind.
Er sagte, dass die Vergangenheit und ihre Folgen immer präsent seien und wir persönlich für das Aufbauen der Zukunft zuständig seien. Zu diesem Aufbau gehört unser gemeinsamer Wille. Mit dieser inspirierenden Nachricht entließ er uns in die Gesprächsgruppen.
Arbeitszeit ist Lebenszeit
Am Morgen des dritten Tages hat Götz Werner, der ehemalige Geschäftsführer der Drogeriemarktkette dm, über die Folgen des Erfolgs berichtet und unsere Verbindung im wirtschaftlichen Raum greifbar dargestellt. Er zeigte uns, dass die gesamte Schöpfung auf Produktivität, Empfänglichkeit und Interesse beruht. Seine Aussage, dass Arbeitszeit auch gleichzeitig immer Lebenszeit sei, stieß bei seinen Zuhörern auf große Zustimmung.
Wir seien immer für die Lebenszeit der anderen mit verantwortlich und wir sollten das bei Entscheidungen berücksichtigen. Gemeinsame Fragestellungen verbinden und wenn es keine gemeinsamen Fragen mehr gibt, entsteht Routine, die zwar verführerisch, aber nicht produktiv ist. Aus dieser Routine kommt man nach Ansicht Götz Werners nur heraus, indem man hinterfragt, umdenkt, ein neues Zusammenleben kreiert und integriert.
Eurythmie aus Brasilien
Genau solche gemeinsamen Fragestellungen und Interessen wurden in dem bunt gemischten Angebot an Workshops behandelt.
Man konnte Theater spielen, über die Zukunft philosophieren, sich über aktuelle Geschehnisse austauschen, lernen, wie man sich mit Hilfe von Teamspielen verbinden kann, seinen Bezug zur Globalisierung verändern. An die Workshops schloss das gemeinsame Abendessen an. Auf langen Bänken im Speisehaus oder in der Abendsonne auf den Wiesen wurden Berichte von den Workshops ausgetauscht und weiter an den Fäden der Verbundenheit gesponnen.
Nach dem Abendessen fand jeden Abend eine Aufführung statt. Schülergruppen aus Japan, Brasilien, Deutschland und von den Philippinen boten Eurythmie, Volkstänze, Poesie und Gesang. Diese Aufführungen waren ein besonderes Highlight. Sie zeigten zum Beispiel wie unterschiedlich Eurythmie sein kann. Die Eurythmie-Aufführung der brasilianischen Gruppen ermöglichte mir, Eurythmie fernab von meinem Eurythmie-Unterricht auf eine völlig neue Weise kennenzulernen.
Am Morgen des vorletzten Tages brachte Nana Göbel uns Waldorfschülern die uns verbindende Geschichte der Entstehung der Waldorfschule näher. Sie lenkte unseren Blick auch auf die sehr unterschiedliche Lage der Waldorfschulen weltweit und zeigte uns in Form von Bildern, wie verschieden Waldorfschulen weltweit aussehen können.
Am Abend des vorletzten Tags lockte das Duo Libero etwas aus uns hervor, was in allen Sprachen von gleicher Bedeutung ist: das Lachen! In verschiedenen kleinen Szenen konnte man über die Missgeschicke der beiden Clowns lachen oder schmunzeln.
Wir können die Welt ändern
Obwohl alle der Meinung waren, dass die Tagung ruhig noch einige Tage hätte weiter gehen können, brach der letzte Tag an. Dieser begann mit dem täglichen Morgensingen, was sich zu diesem Zeitpunkt schon wie ein gemeinsames Ritual anfühlte. Jeden Tag sangen wir zwei schottische Lieder. Danach stürmten immer wieder einzelne Teilnehmer die Bühne und brachten uns verschiedene Lieder bei. Wir sangen Lieder aus den verschiedensten Ecken der Welt. Dann begann der letzte Vortrag, ein weiterer Vortrag besonderer Art, denn er war in vier Teile unterteilt. Zuerst schilderte Maxine Fowé (WaldorfSV) ihre Vision für die Welt von morgen, Till Höffner und Lukas Eis (WaldorfSV) rundeten dies mit ihren persönlichen Eindrücken der Tagung ab. Sie bekräftigten, dass wir über die Fähigkeiten verfügten, die negativen Aspekte unserer Mentalität zu ändern, indem wir zu der Veränderung werden, die wir in der Welt sehen wollen.
Dann ergriff Klaus-Peter Freitag vom Bund der Freien Waldorfschulen und Mitorganisator der Tagung das Wort. Auch er schilderte seinen überaus positiven Eindruck der Tagung und sagte, dass wir uns Bilder der Zukunft schaffen sollten, die wir haben wollen. Es ist nicht zu vermeiden, dass Zukunft zu einem zentralen Gesprächsthema wird, wenn so viele Jugendliche aufeinander treffen. So stieß auch sein Zitat von Sartre »Die Jugend hat Heimweh nach Zukunft« auf große Bestätigung und Begeisterung. Der Abschied der Schüler gestaltete sich tränenreich und man versprach sich, in Kontakt zu bleiben. Uns allen war bewusst, dass wir teilhatten an etwas Großem, etwas Besonderem und an etwas Einzigartigem.
Wir alle haben nicht nur an Erfahrungen und neuen Sichtweisen gewonnen, wir alle haben Freunde gewinnen und Mauern einreißen können und wir konnten alle die Frage »Was verbindet uns« ganz individuell und persönlich beantworten.
Zur Autorin: Sophie Marie Teske besucht die 12. Klasse der Freien Waldorfschule Mülheim a. d. Ruhr und ist Vorstandsmitglied der Waldorf SV